Schwuchtel

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(Die) Schwuchtel ist neben Tunte eine der meistverwendeten Bezeichnung für einen sich weiblich benehmenden Schwulen oder Schwule generell. Es wird meist salopp und abwertend als Schimpfwort verwendet. Seltener kommt es als wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung vor, manchmal zur Differenzierung untereinander.[1] Der Unterschied ist meist im Tonfall zu hören oder aus dem geschriebenen Kontext zu entnehmen. Als Verben existieren die Bezeichnungen schwuchteln oder auch herumschwuchteln. Es gibt kein weibliches Pendant.[2]

Schimpfwort

Wenn Schüler heute Schimpfausdrücke wie „du Schwuchtel“ verwenden, beabsichtigen sie damit, ihre eigene Männlichkeit von alternativen Männlichkeitskonzepten abzugrenzen. Mit der Verwendung des Begriffs Schwuchtel zum Beispiel wird zumeist eine Männlichkeit abgewertet, die sich durch eine vermeintliche Effeminisierung auszeichnet, bei der also die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit als nicht hinreichend scharf wahrgenommen werden. Unklare Trennungslinien zwischen den Geschlechtern werden als Störung der Geschlechterordnung aufgefasst und verstören viele bei der Konstruktion ihrer eigenen Geschlechtsidentität.
Martin Lücke: Unnatürliche Sünden - lasterhafte Lustknaben, 2007[3]

Aber auch in der Erwachsenenwelt ist das Wort wohlbekannt. So bezeichnet der Entertainer Harald Schmidt während der Fußball-Weltmeisterschaft 1998 den Nationalspieler Jürgen Klinsmann als „Schwabenschwuchtel“ und „Warmduscher“. Die Äußerung führte zu juristischen Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Fußballbund, bei der Schmidt unterlag.

Dieter Bohlen ist als Jurymitglied bei Deutschland sucht den Superstar für seine des öfteren sehr harten, manchmal bis ins Beleidigende gehenden Kommentare bekannt. Im Januar 2008 versuchte Kandidat M. sein Glück, brachte keine perfekte Gesangsdarbietung und wurde abgewiesen. M. sowie seine Mutter und seine Gesangslehrerin waren vor allem mit der Kritik, er hätte die Töne nicht getroffen unzufrieden und gigen nochmals ins Studio. Die gesamte Jury blieb aber bei ihrer Meinung. Nachdem alle drei den Raum verlassen hatten sagte Bohlen in Gespräch mit einem anderen Jurymitglied: „Vollschwuchtel, [...] Vollschwuchtel. Singt wie ein Schwein, ey.“[4][5] In der Wiederholung am Nachmittag wurde das Wort überpiept.[6]

Selbstbezeichnung und ältere Vorkommen

Belegt ist das Wort in der Prostituiertensprache Wiens[7] und Berlins[8]. Im Berlin der 1920er gab es einen Schwuchtelball als „Tanzabend Homosexueller“[8] und im Baseldeutsch gab es vor allem zwischen 1930 und 1955 das Spezialideom Schwuchtle[9]. Ab 1975 wurde in Berlin die Schwuchtel - Eine Zeitung der Schwulenbewegung herausgebracht.[10][11] Aus dem Herausgeberkreis kommen dann die Gründer 1977 eröffneten Schwulencafés Anderes Ufer. In der Szene gibt es auch die Bezeichnung der Schrankschwuchtel, also eine Person, welche noch nicht ihr Coming-out gegenüber der Umgebung hatte und „im Schrank“ versteckt lebt.

Etymologie

Es existieren mehrere Herkunftserklärungen:

  • Das Verb schwuchteln ist ein altes deutsches Wort für schwenken, ausgelassen herumspringen, in den Hüften wiegen, tänzeln. Im Sprachgebrauch der männlichen Homosexualität ist damit gekünsteltes weibliches Benehmen, und trippelnder, wiegender Gang des damit schwuchtelnden femininen homosexuellen Mannes gemeint. Im Rotwelschen und in mitteldeutschen Mundarten bedeutet schwuchten oder schwuchteln links herum tanzen oder beim Gehen in den Hüften wiegen.[12]
  • Nach Bleibtreu-Ehrenberg stammt der Ausdruck vom Theater im Mittelalter, als Frauen noch nicht auf der Bühne stehen durften und Männer en travestie spielten. Es sollen dort jene Schauspieler so bezeichnet worden sein, die die Rolle der Schlampe, des liederlichen Frauenzimmers zu verkörpern hatten. Sie vermutet, dass es ein theatergeschischtlichen Weg zur vetula führt, „von der die Brüder Grimm annahmen, es handle sich um eine leichtfertige Person, die Musik macht und in ihrem Namen Andeutungen von Analem hervorkehrt.“[13]
  • Der Sprachwissenschaftler Mücke bezieht sich auch auf das den Frauen zugeordnete Tanzen und Hüftschwingen, auf das sich auch eine Reihe anderer umgangssprachlicher Bezeichnungen beziehen wie Hüftenwackler, Kistenschwenker, Zitteraal, Wackelarsch, Wackeltante, etc. Für ihn ist darin die Etymologie des indogermanischen Wortes „arg“ und die „in altnordischen Quellen vorliegende sprachliche bzw. assoziative Verbindung von Tanzen, Zittern (vor Angst oder Erregung) und Schwulsein bis in die Gegenwart konserviert.“[14]

Andere Bedeutungen in verschiedenen Mundarten

In den Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck von 1860 ist Schwuchtel unter der Bedeutung „leichtsinniger Mensch“ verzeichnet.[15]

Im Schlesischen bezeichnet Schwuchtel eine Schwätzerin, eine Art Dorfzeitung und eine dicke Frau. Der Schwüchtel ist ein dickleibiger Mensch. Und schwuchteln bedeutet herumtreiben.[16]

Siehe auch

Weblinks

Quellen

  1. Jody Daniel Skinner: Bezeichnungen für das Homosexuelle im Deutschen - Band II, Ein Wörterbuch, Die Blaue Eule, Essen 1999, ISBN 3-89206-903-4; Dissertation der Universität Koblenz-Landau 1998
  2. Gabriele Scheffler: Schimpfwörter im Themenvorrat einer Gesellschaft, Tectum Verlag DE, 2004, ISBN 3-8288-8172-6, S. 175
  3. in: Bea Lundt, Barbel Volkel (Hrsg.): Outfit und Coming-out: Geschlechterwelten zwischen Mode, Labor und Strich, LIT, 2007, ISBN 3-8258-0491-7, S. 140
  4. Bohlen: Kandidat "Vollschwuchtel", queer.de, 27. Januar 2008
  5. DSDS - Zoff mit der Jury - Video, Videobeitrag bei RTL, 27. Januar 2008, benötigt Adobe Flash
  6. Stefan Niggemeier: Kritik an DSDS „Verlogen und scheinheilig“, F.A.Z., 02. Februar 2008, Nr. 28 / Seite 39
  7. Oswald Wiener: Beiträge zur Ädöologie des Wienerischen, im Anhang zu:
    Josefine Mutzenbacher: Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt, München 1970, S. 388: „päderast“
  8. 8,0 8,1 Heinz Küpper: Illustriertes Lexikon der deutschen Umgangssprache II, Stuttgart 1982-1984, „weibischer Homosexueller Berlin 1920 ff.“
  9. Rudolf Suter (Hrsg.): Basel-deutschwörterbuch, Basel 1984
  10. Susanne Zur Nieden: Homosexualität und Staatsräson: Männlichkeit, Homophobie und Politik, Campus Verlag 2005, ISBN 3-593-37749-7, S. 93
  11. Annette Dröge, Volker N. Würtz: "männer","frauen" und andere Menschen: Über Normen, Abweichungen ..., Verlag Frauenpolitik, 1977, S. 86
  12. Günther Hunold: Sexualität in der Sprache, 1980
  13. Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Homosexualität. Die Geschichte eines Vorurteils, Frankfurt am Main, 1981, S. 387
  14. Christian Mücke: Bezeichnung normabweichenden Verhaltens am Beispiel der Homosexualität (masch.-schr.) Magisterarbeit, Würzburg 1992, S.154
  15. Louis Curtze: Volksüberlieferungen aus dem Fürstenthum Waldeck, Verlag A. Speyer, Arolsen 1860, S. 501
  16. Walther Mitzka: Schlesisches Wörterbuch, W. de Gruyter 1962